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„Wir sind passive Konsumenten – wie unsere Eltern!“

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Roboter und Musik, das passt ganz gut

Roboter und Musik, das passt ganz gut

Der Chaos Communication Congress begann in diesem Jahr mit einer Überraschung. Als erdgeist und Geraldine de Bastion – es gelten auch die jeweils selbst gewählten Hacker- und Künstlernamen – die Veranstaltung eröffneten, meldeten sich rund tausend von dreitausend im Saal Anwesende bei der Frage, wer denn zum ersten Mal zu der seit nunmehr 30 Jahren veranstalteten Hackerkonferenz gekommen sei. Und wenige Minuten später stellten sich die Neulinge die nächste Frage selbst: Sind sie auf einer Hackerkonferenz?

Auf die kurze Eröffnung folgte eine Keynote von Alec Empire, der als Musiker kam, sich dafür sogar ein wenig entschuldigte, aber für viele gut Nachvollziehbares berichtete. Das Internet sei zur Beute weniger Konzerne verkommen, die das simple Gefallen nähren, aber Kreativität lähmten und Politik ausmerzten. Und darauf folgte ein sprachwissenschaftlicher Vortrag von Maha, der im Sinne der Veranstaltung von einer maschinenlesbaren Regierung träumte, von den Regierenden aber nur ein PDF zur „Digitalen Agenda“ bekam. Er las es, mit aufwendiger Computerunterstützung, und zeigte auf: Im Regierungstext steht nichts drin, nicht einmal die Begriffe haben Sinn. Wir alle, so lautete die erste Botschaft des Musikers und des Philologen, hätten nun also ein Internet – aber es kam auf Kosten der Leidenschaft, der Freiheit, der Empathie und des bewussten Mitdenkens. „Wir sind passive Konsumenten – wie unsere Eltern!“

Anders als im vergangenen Jahr, als der Snowden-Schock noch deutlich zu spüren war, gab sich der CCC in diesem Jahr wieder ein Motto. Es lautete, grob übersetzt: „Neue Hoffnung.“ Und diesem kitschverdächtige Versprechen verschrieben sich einige Redner. Julia Reda, für die Piratenpartei Mitglied des Europaparlaments, berichtete von den Möglichkeiten eines neuen Urheberrechts. Eine verständige Zukunft für Künstler und Hacker schien möglich. Will Scott, ein Uniabsolvent aus Washington, erzählte von seiner Zeit als Dozent an einer Technischen Hochschule in Pjöngjang. Es ging um wissbegierige Studenten in Nord Korea, nicht um fiese Hacker, die angeblich Hollywoodstudios angreifen.

Bill Scannell berichtete von seiner Arbeit auf dem Teufelsberg, der NSA-Field-Station-Berlin. Optimismus war bei diesem Bericht über Geheimdienstarbeit vor dreissig Jahren allerdings kaum zu finden, dafür eine Menge Galgenhumor. Es wurde also zumindest gelacht. Ohne viel Gelächter erklärte der Hamburger Physiker Michael Büker, was mit den 15000 Atombomben geschieht, die heute nicht mehr als politische Drohkulisse benötigt werden, die aber eben auch nicht verschwanden. Ihre Anzahl sank. Zuweilen besaßen allein Amerika und die Sowjetunion mehr als 70000 Atomwaffen. Nun sind es bedeutend weniger, aber in mehr Händen und es bleibt bei der grundlegenden Logik: Es kommt auf jede einzelne Atomwaffe an.

Deprimierend wurde es am dritten Nachmittag im großen Saal. Katharina Nocun und Maritta Strasser, beide hauptberuflich politische Aktivisten, beschrieben Sinn, Wille und Inhalt sogenannter „Freihandelsabkommen“, die weder mit Handel noch mit Freiheit viel zu tun hätten, aber teuflische Details in internationalen Abkommen versteckten. Der bereits medial viel gescholtene „Investorenschutz“ sei demnach keine Klausel, über die sich verhandeln ließe, sondern zentrales Anliegen in Abkommen dieser Art. Sie ermächtigten Unternehmen, Staaten zu verklagen, wenn „legitime Erwartungen“ an die Prosperität einer Investition nicht erfüllt würden.

Das Szenario schilderten die Aktivistinnen so: Sollte Europa die Abkommen mit Kanada (Ceta) und Amerika (TTIP) in jetziger Form beschließen, stünde jedes künftige Gesetz in Gefahr, „legitime Erwartungen“ von Investoren zu enttäuschen. Die dann möglichen Klagen würden jedoch nicht Gerichten vorgelegt, sondern Anwälten, die im kleinen Kreis über die Strafen befänden. Am Fall Argentinien könne man es derzeit studieren. Das beinah bankrotte Land musste sich mit mehr als 40 Urteilen derartiger Privatgerichte auseinandersetzen, die dem Land mehre Milliardenstrafen aufbürdeten. Nun müsse Europa aufpassen. Die angestrebte Datenschutzreform, drohe wie jede andere Verbesserung des Verbraucherschutzes, „legitime Erwartungen“ zu enttäuschen.

Je nach Interesse ließen sich im mehrere hundert Veranstaltungen umfassenden Programm gute, hervorragende und spektakuläre Vorträge finden. Einen von ihnen hielt David Kriesel, ein in Bonn geborener Systemingenieur, der in amerikanischen Laboren für „kreative Maschinen“ studierte und heute dem Hobby nachgeht, ein Fachbuch über neuronale Netze zu schreiben. Er berichtete von seiner Auseinandersetzung mit Xerox. Die amerikanische Firma setzt 22 Milliarden Dollar im Jahr damit um, die Unternehmen und Behörden der Welt mit Kopierer und Scannern auszustatten.

Kriesel erhielt einen Hilferuf in einer merkwürdigen Sache: Jemandem war aufgefallen, dass der Grundriss eines Gebäudes plötzlich andere Quadratmeterwerte aufwies, nachdem das Dokument gescannt wurde. Kriesel beschrieb erst einmal das Problem im Detail: Der Scanner komprimiert das Bild. Besteht es aus Text, speichert das Gerät jeden Buchstaben als Bilddatei und merkt sich, wo er im Dokument vorkam. Nach dem Scannen enthält das digitale Dokument zwar noch so viele „a“, „f“ und „y“ wie seine analoge Vorlage. Aber es zeigt tatsächlich immer nur dasselbe kleine Bildchen „a“, „f“ und „y“ an – immer wieder dasselbe dort, wo es hingehört. Wehe aber, es kommt dabei zu dem Fehler, dass die Maschine eine „6“ als „8“ erkennt und infolge eine „8“ im Dokument platziert, wo ursprünglich eine „6“ zu finden war.

Der Fehler ist tückisch – man sieht ihn nicht. Das angezeigte Zeichen ist nicht verschwommen, unleserlich oder unkenntlich. Es sieht perfekt aus, ist aber schlicht falsch. Acht Jahre verbarg sich der Fehler im System, die Nutzer konnten nichts gegen ihn tun. Betroffen war die ganze Welt. In Amerika ist „xerox“ auch ein Verb, verwendet für das Scannen und Kopieren. Ehemalige Offiziere, die im Publikum sitzen und Kriesels Vortrag hören, rieben sich Augen und Ohren: „Die Bundeswehr nutzt eigentlich nur Geräte von Xerox.“ Kriesel hatte den dazu passenden Kommentar in seinem Vortrag: Irgendwann im Verlaufe der Auseinandersetzung mit den Medien, gestand der Vize-Chef von Xerox gegenüber der BBC ein: „Ja, im Normalmodus kann der Fehler vorkommen. Aber den verwendet fast niemand, außer das Militär und Ölbohrinseln.“

Kriesel hatte zu dieser Zeit schon beschrieben, dass der Fehler nicht nur im „Normalmodus“ vorkomme, sondern selbst dann, wenn Nutzer in höchster Qualitätsstufe scannen. Ein Disaster, wie etliche, die in anderen Vorträgen beschrieben wurden. Archive kontaktierten Kriesel, die ihre Bestände digitalisierten und die Originale vernichteten. Unternehmen fragten, ob es ein Fehler sei, eingehende Post bei Ankunft zu digitalisieren und im Haus per Mail weiterzuschicken. Kriesel beantwortete diese Fragen und er berichtete davon, wie es sich anfühle, plötzlich einen Weltkonzern öffentlich vorzuführen und auf hunderte Presseanfragen pro Tag antworten zu müssen, was nicht nur eine belastende, sondern auch unbezahlte Arbeit ist.

Vorstände und Sprecher des Chaos Computer Clubs: heckpiet, erdgeist, Linus Neumann, Constanze Kurz und Frank Rieger (v.l.) beim "Jahresrückblick"

Vorstände und Sprecher des Chaos Computer Clubs: heckpiet, erdgeist, Linus Neumann, Constanze Kurz und Frank Rieger (v.l.) beim „Jahresrückblick“

Ist die Idee der Veranstaltung also aufgegangen, folgte auf die „Sprachlosigkeit“, mit der Tim Pritlove den Congress im vergangenen Jahr eröffnete neue Hoffnung? Auch die Idee, die Veranstaltung diesmal unter das Motto „A new Dawn“ zu stellen, stammte von Pritlove. Kritik blieb nicht aus. Schon im vergangenen Jahr mokierten sich Journalisten darüber, dass sich Kollegen, die auftraten, mit Aktivisten gemein machten. In diesem Jahr folgte journalistische Kritik, die dem Congress und dem veranstaltenden Chaos Computer Club unterstellte, Foren für wirtschaftliche Interessen und für Aufrufe zur Selbstjustiz zu bieten. Erstaunlich harte Urteile über eine Veranstaltung, die mehr als 10.000 Menschen versammelt, von denen einige nicht eine Veranstaltung in den Sälen besuchten und andere nicht einen Schritt in den Keller wagten, in dem zu Tausenden gebastelt, geforscht und gefeiert wurde. Alles wuselte, 1152 Besucher haben in der Organisation geholfen, mit rund 14.000 geleisteten Arbeitsstunden.

Frank Rieger thematisierte es auf der Bühne: Auch er, als Sprecher der Organisation, überblicke das Geschehen nicht. Das könne er für das Sprecher-Team sagen. Darüber hinaus repräsentiert niemand niemanden, das Chaos bleibt Programm. Es ergab sich somit wie immer: Die Aufzeichnungen der 186 Hauptveranstaltungen stehen im Internet zur Verfügung, sie dienen der Unterhaltung, der Lehre und im nächsten Jahr der Erinnerung, wenn viele Redner kommen und mit Verweis auf ihren vorangegangenen Vortrag erzählen, was sie seit dem so trieben.


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